Ein leidenschaftliches Plädoyer gegen allzu vorschnelle Trennungen.
Keine Frage, eine Trennung ist Teil einer Beziehung. Weil nun mal jede Beziehung einen Anfang hat und ein Ende und weil jedes Paar auch im ganz Kleinen und Alltäglichen Trennungen erlebt.
Wenn aber das Kleine zu groß wird und das Alltägliche zur Ausnahme, kommen sie in unsere Praxis, die Frauen und Männer in Not, und sagen und fragen: „So geht es nicht weiter! Aber wie dann?“
TRENNUNG VOM ZUSTAND – NICHT VOM PARTNER
Das Problem ist nur: Auch ab 40 verwechseln viele etwas, wenn sie von Trennung sprechen. Weil sie sich eigentlich von einem konfliktreichen Zustand trennen wollen, nicht vom Partner.
Was verständlich ist, weil aus der früheren Leichtigkeit des Seins eine Tonnenlast geworden ist. Also bloß weg damit, damit ich wieder unbeschwert und glücklich sein kann…
Genau dieses Missverständnis, diese Verwechslung führt aber dazu, dass sich Paare schlicht zu früh trennen. Weil es Lösungen gäbe. Vorausgesetzt natürlich, dass es bei den Krisen nicht um Missbrauch oder Gewalt geht.
Meine Frau Birgitt Hölzel und ich arbeiten in unserer Münchner Praxis Liebling + Schatz Woche für Woche an solchen Lösungen, als Berater von Paar zu Paar. Es sind zunächst oft nur kleine Schritte, die den Paare noch dazu viel Arbeit machen. Weil es um das genaue Erkunden geht und darum, das Trennende überhaupt erstmal sichtbar zu machen. Mit dem Ergebnis, das es häufig um etwas ganz anderes geht.
ABSTAND UND ZEIT FÜR NEUE NÄHE
Unsere Nachfragen nach dem, was zwischen den Partnern steht, entlastet das Paar, weil es ja vorher selbst schon alles Mögliche getan hat, um die Trennung zu vermeiden. Weil es ausgepowert ist und verzweifelt. Weil es Verständnis sucht, bei sich und bei uns. Weil es sich erst einmal Raum und Abstand geben muss, damit jeder wieder etwas zu sich selbst finden kann. Weil in dieser existenziellen Krise jeder lernen muss, für sich zu sorgen. Weil der Versuch eines Neuanfangs meist auch das Ende eines langen Machtkampfes bedeutet; und damit auch der Abschied von Bedürfnissen, Wünschen und Idealen.
Und das Blöde: Auch diese Auseinandersetzung mit der Partnerschaft bedeutet Arbeit und Aufmerksamkeit, aber sie ist eine riesige Chance, der Beziehung gemeinsam eine neue Richtung zu geben. Ohne Trennung, mit Reifeprozess. Weil es nämlich ein Leben nach dem „dead point“ gibt. Weil wir Zustände verändern können, aber keine Menschen.
Was die Alternative wäre? Auch wenn es vielen von uns in diesen ach so leicht konsumierbaren Zeiten von Tinder, Parship & Co komisch vorkommen mag, sind künftige Beziehungen oft nur Neuinszenierungen der alten. Also alter Wein in neuen Schläuchen.
Ist ja auch anstrengend und nervig, eigene Kommunikations- und Konfliktmuster in Frage zu stellen. Weswegen wir nach kräftezehrenden, kostspieligen Trennungen mit neuen Partnern automatisch wieder am selben Punkt landen. Bei Streitereien, Konflikten und Zuständen, die unerträglich sind. Oder alles weiter wie bisher. Drama ohne Ende, kleinster gemeinsamer Nenner…
DIE PHASEN EINER BEZIEHUNG
Nur so zum Hintergrund: Wir systemische Therapeuten teilen Beziehungen in vier Phasen ein, und auf die sind wirklich Verlass. Weil sie immer wiederkehren: Am Anfang das Verliebtsein, der hormonelle Ausnahmezustand also, dann das Kennenlernen von Freunden, Verwandten, ersten Macken und Gewohnheiten. Schließlich die Umerziehungsphase, in der wir den Partner ändern wollen; auch wenn es uns kaum gelingt. Und endlich der Versuch der Festigung und Sicherung dessen, was noch übrig ist. Diese Phasen kommen und gehen, so oder so.
Wobei in Deutschland trotzdem 41 Prozent aller Ehen nach durchschnittlich 15 Jahren wieder geschieden werden. Was schade ist, weil wir der Überzeugung sind, dass es sich oft genug lohnt, zusammen zu bleiben. Es kommt nämlich keineswegs immer noch was „Besseres“. Und Liebe muss auch nicht immer symbiotisch sein.
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